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Vaterlandslose Kunst

Neues vom österreichischen Kulturkampf: An Stelle der Zensur tritt die Politik der leeren Kassen

UWE MATTHEISS
"Süddeutsche Zeitung"-online, 02.03.2001


"Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit"– in den goldenen Lettern einer Jugendstilschrift schmückt dieser Satz seit 1898 die Fassade der Wiener Secession. Das in der Zeit seiner Entstehung so kühne und in eine
ferne Zukunft der Kunst weisende Werk des damals gerade 30-jährigen Architekten Joseph Olbrich strahlt frisch renoviert in weiß und im Gold seiner filigran durchbrochenen Dachkuppel. Die Secession steht als ein gleißend schöner Fremdkörper mitten zwischen den drögen Erscheinungsformen technischer Rationalität, zwischen grauen Zweckbauten und mehrspurigen Fahrbahnen auf einer Verkehrsinsel im Schnittpunkt
zweier Hauptverkehrswege. Kein Reisebus auf Stadtrundfahrt wird diese Ansicht auslassen. Die Fremdenführer erläutern, wie sich der Gestaltungswille der Moderne in der Kunst und über die Kunst hinaus aus der Enge der Gründerzeit erhob. Sie erzählen von neuen Horizonten, von parallelen Umwälzungen in Kunst und Wissenschaft, von Klimt und Schiele, von Freud und Schönberg, von den Philosophen des "Wiener Kreises". Wichtige Entwicklungen im europäischen Kulturleben des 20. Jahrhunderts nahmen in Wien ihren Ausgang.

Doch diese Geografie der Kulturgüter hat blinde Flecken. Was die von hier ausgehenden Impulse hinderte, auslöschte oder vertrieb, wäre im Wiener Stadtbild ebenfalls zu finden. Kaum eine der Stadtrundfahrten wird aber einen Abstecher in die Meldemannstraße im 20. Wiener Gemeindebezirk wagen. Hier liegt das Obdachlosenasyl, dessen prominentester Insasse einst der als Künstler gescheiterte Adolf Hitler war. Die Wiener Secession gehört zu den bevorzugten Kriegerdenkmälern der österreichischen "Kulturnation". Sie ist einer jener Orte, die die Geschichte einer wundersamen Transformation erzählen; ihr Angelpunkt ist die Jahrhundertwende vom 19. auf das 20. Jahrhundert. Mitten im Zentrum einer untergehenden dynastischen Großmacht entstand eine produktive Stätte für Künste und Wissenschaft. Nachdem die Reiche verspielt waren, wurde daraus nachträglich ein Arkadien für eine neue nationale Erzählung mit dem Titel "Kulturnation". Sie ersetzte politische und militärische Macht durch den Geltungsanspruch der nationalen Kultur weit über die Grenzen der kleinen Republik hinaus.

Die Verschiebung nationaler Heldenerzählungen aus der Geschichte in die Kunst ist kein österreichisches Phänomen, wurde aber nirgendwo in Europa so deutlich vollzogen. Die tatsächliche Bilanz eines Jahrhunderts "Kulturnation" ist zwiespältig. Nach dem Zweiten Weltkrieg dringen die Impulse aktueller Kunst nur bedingt oder verspätet nach Wien. Von den Kämpfen des Wiener Aktionismus gegen eine bornierte klerikalkonservative Kulturbürokratie bis zu den Rückzugsgefechten der Kunst gegen die öffentlichen Treibjagden der FPÖ Jörg Haiders zeigt sich eines: Die "Kulturnation" beansprucht die erprobten Güter der Vergangenheit, den realisierten Mehrwert künstlerischer Produktion.

Mit den Risiken aktueller Kunstproduktion tut sie sich weit schwerer. Der Künstler als "Anführer gegen die festgesetzte Ordnung" (Herbert Read) wird jedoch nicht mehr bekämpft, sondern freigesetzt. Anstelle der
Zensur tritt die Politik der "leeren Kassen". Große Teile der Kunstproduktion werden kommerzieller, sind vermehrt auf Sponsoring aus der Wirtschaft angewiesen. Zwischendrin stehen die "Leuchttürme"
nationalstaatlicher Förderungspolitik, ohne die der allseitige Abbau von staatlich finanzierter Kunstproduktion zum Standortnachteil geraten würde. Österreich geht in dieser Frage auch heute einen Sonderweg. Die
heimische Wirtschaft ist nach Jahrzehnten des sozialpartnerschaftlichen Kooperationismus von Eigenverantwortung ziemlich entwöhnt und in Sachen Kultursponsoring schlicht diskurs-unfähig.

Ideologische Gängelungen

Mit der neuen Regierung der konservativen ÖVP und Haiders FPÖ holt Österreich zwar die neoliberale "Wende" nach, die alle westeuropäischen Länder seit den 80er Jahren erfasste: Sparpolitik, Rückbau des
Sozialstaates und die Mobilisierung der Nation zur Standortkonkurrenz. In der Kulturfinanzierung aber verfährt man auf den ersten Blick widersprüchlich. Der Rückzug des Staates fällt längst nicht so überstürzt aus, wie in anderen Ländern. Die Diktatur der "leeren Kassen" hat noch keine Theaterschließungen verursacht. Stattdessen überziehen beide Regierungsparteien das Feld der Kunst mit einer ganzen Reihe gezielter ideologischer Interventionen und Gängelungen. Sie versetzen das Land in einen neuerlichen Kulturkampf, der bisweilen an die Auseinandersetzungen um den Wiener Aktionismus während der ÖVP-Alleinregierung Ende der 60er Jahre erinnert.

Einer der Akteure ist Jörg Haider. Als Landeshauptmann und Kärntner Kulturreferent verursachte Haider in Villach die Schließung eines Theaters aus rein ideologischen Motiven. Er wolle keine "linke Denkfabrik" fördern. Aber auch das Kulturstaatssekretariat des ehemaligen Schauspielers Franz Morak (ÖVP) liefert Beispiele für derartige Maßnahmen. Die Auszahlung von Subventionen an den international renommierten Netzkunstprovider Public Netbase zögert das Staatssekretariat seit über einem Jahr hinaus. Die europaweit
gastierende Ausstellung "worldinformation.org", die von Public Netbase mitkuratiert worden ist, wurde von der EU gefördert, aber nicht von dem Land, in dem sie stattfand. Public Netbase gilt den Christdemokraten als
kommunikationstechnischer Rückhalt der Donnerstagsdemonstrationen gegen die Regierung. Kulturinstitute im Ausland werden geschlossen, etwa in Paris, oder direkt dem diplomatischen Dienst unterstellt, wie in
Teheran. Über ein Jahrhundert nach ihrer Gründung wurde jetzt ausgerechnet die Wiener Secession zum Opfer gerichtlich verordneter Zensur. Im Rahmen einer Ausstellung über ein "Jahrhundert künstlerischer
Freiheit" (1998) wurde eine Arbeit von Otto Mühl von einem in den österreichischen Medien meist als "Pornojäger" verniedlichten rechten Gewalttäter beschädigt. Später klagte ein FPÖ-Abgeordneter, der sich im
satirischen Inhalt des Bildes als Akteur sexueller Handlungen wieder zu erkennen glaubte. Die Secession, so erklärte ihr Sprecher Matthias Hermann, werde auch stellvertretend für andere Künstler und Institutionen bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, die finanziell nicht in der Lage seien, sich gegen den Druck der FPÖ zur Wehr zu setzen. Die Klage vor Gericht ist für die Freiheitlichen zu einem politischen Mittel geworden, zumal sie auf eine ausgesprochen konservativ gestimmte Richterschaft zählen kann.

Die FPÖ vertausche in ihrer Sprechweise die Positionen, so der Kölner Journalist Mark Terkessides. Haider stellt sich und seine Partei als Opfer von Zensur dar, die eine vorgebliche Hegemonie der Linken den
"anständigen Österreichern" gegenüber ausübt. Die FPÖ gibt vor, in der Öffentlichkeit mit dem Rücken zur Wand zu stehen, und rechtfertigt damit ihre aggressiven Mittel der Auseinandersetzung. Ein ideologischer Kern über ein diffuses Wir-Gefühl hinaus sei bei der FPÖ nicht auszumachen. Haider ist in der Lage, jedes politische Element zu besetzen, sofern es ihm nützt. Politker der FPÖ redeten nur dort wo es ihnen nütze, so Terkessides. Der freiheitliche Diskurs sei insofern gewaltförmig, als er nicht ans Reden glaube.

In Österreich enden solche Debatten von liberaler Seite meist mit der Beschwörung von Mindeststandards der "Kulturnation". Aber gerade das erscheint zweischneidig. Die Oldenburger Kulturwissenschaftlerin Silke
Wenk verweist auf die Tautologie des Begriffs und seine fragwürdigen Konsequenzen: Jede Nation werde als Entwurf verbindender kultureller Praktiken vorgestellt. Der Begriff "Kulturnation" meint so gesehen, dass
andere keine oder nur mindere Kultur haben. Was "Kulturnation" will, zumindest im Verständnis der FPÖ, sagt diese seit einer diffamierenden Plakataktion im Jahr 1995 relativ unverstellt: die kulturellen Leistungen der Vergangenheit, aber nicht ihre jeweils gegenwärtigen Akteure – "Jelinek, Peymann . . . oder Kunst und Kultur."


updated: 02.03.2001 by werner
 
 
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