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"Fast gemeingefährlich"

Interview. Schriftsteller Robert Menasse über das Künstler-Sozialversicherungsgesetz, das seiner Meinung nach die Existenzgrundlage für Österreichs Kreative ruiniert, und über seinen Plan, gemeinsam mit über hundert österreichischen Künstlern im Ausland eine Firma zu gründen.



Sven Gächter
"profil"-online, 26.02.2001


profil: Herr Menasse, rufen Sie zur Steuerflucht auf?

Menasse: Das ist eine Zeitungsente. Es geht nicht um die Steuer, sondern um die so genannte Künstler-Sozialversicherung. Der österreichische Kunststaatssekretär, also der Sekretär des Kunstkanzlers, brüstet sich mit einem Gesetz, das mit der erklärten Absicht, Künstler zu schützen, so gut wie allen österreichischen Kreativen die ökonomische Existenzgrundlage nimmt.

profil: Das Gesetz wurde aber schon vor dreieinhalb Jahren im Parlament beschlossen Ö

Menasse: Ö und wird seit drei Jahren von allen Experten einhellig als höchst problematisch eingestuft. Nachdem Herr Morak beschlossen hatte, Politiker zu werden, wollte er schaffen, was die Sozialdemokraten in dreißig Jahren nicht geschafft hatten, nämlich den Künstlern ein Sozialversicherungsgesetz zu geben. Gleichzeitig waren aber die Künstler diejenigen, die ihn am heftigsten ausgebuht haben, als er sich mit den
Freiheitlichen ins Bett legte. Ich weiß nicht, ob das jetzt Revanchismus ist oder nur Dummheit - es interessiert mich auch nicht. Faktum ist: Morak hat ein Gesetz exekutiert, das vorher so radikal problematisiert worden war, dass es ausgesetzt werden musste.

profil: Worum genau geht es?

Menasse: Das Gesetz sieht vor, dass jeder Kreative in diesem Land ab sofort bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft zwangsversichert wird und dort 25 Prozent seines Einkommens - zusätzlich zu allen andern Steuern und Abgaben und Versicherungsleistungen! - abzuliefern hat.

profil: Franz-Leo Popp vom Künstler-Sozialversicherungsfonds sagt, es seien nur 15 Prozent.

Menasse: Es ist mit einem einfachen Anruf verifizierbar, dass Künstler 25 Prozent zahlen. Noch einmal: Es geht nicht um steuerliche Privilegien; die haben die Erfinder und Skifahrer und andere. Es geht vielmehr darum, dass wir Künstler nicht nachvollziehen können, warum in einem Land, das sich bei jeder Gelegenheit als Kulturnation rühmt, ausgerechnet den Künstlern zusätzliche Lasten auferlegt werden sollen.

profil: Hat der Staat also eine Rechnung mit seinen Künstlern offen?

Menasse: Der Staat ist kein abstraktes Gebilde, er besteht aus Menschen, die zum Beispiel eine Regierung bilden. Der Bundes- und Kunstkanzler Wolfgang Schüssel und seine Regierung haben eine fixe Idee - bei
Pressekonferenzen regelmäßig eine Liste vorweisen und sagen zu können: Das ist abgehakt. Wir haben etwas weitergebracht!

profil: Speed kills.

Menasse: Ja, und in diesem Fall die Kunst. Das trifft sich insofern ganz günstig, als die österreichischen Künstler diese Regierung bekanntlich fast einhellig von Anfang an kritisiert haben.

profil: Also doch ein Akt des Revanchismus?

Menasse: Es schaut verdammt danach aus, aber ich will mich nicht auf diesen Aspekt festlegen. Mich interessiert die legistische Vernunft und die Möglichkeit, durch Arbeit mein Leben zu verdienen - das verbindet mich mit allen arbeitenden Österreichern und nicht mit den Privilegierten. Ich bin gern bereit, die Hälfte meines Einkommens abzuliefern. Aber das ist nicht mehr die Realität. Die Realität ist, dass Herr Morak und Herr Schüssel der Meinung sind, dass ich, wenn ich einen Roman für Suhrkamp, ein Essay für eine Zeitung und ein Stück für das Burgtheater schreibe, drei Dienstgeber habe und mich deshalb dreimal
versichern lassen muss. Mit jeder Zeile, die ich schreibe, vergrößert sich also mein Schuldenstand. Es geht hier nicht um Privilegien. Wir Künstler wären heilfroh, wenn wir das Privileg hätten, so behandelt zu werden wie alle anderen Österreicher. Mir wurde heute übrigens vom Generaldirektor der Sozialversicherungsanstalt, Stefan Vlasich, sehr glaubhaft erklärt, dass auch die Versicherung, die dieses Gesetz gegenüber uns Künstlern exekutieren soll, darüber selbst unglücklich ist. (Siehe auch "Zum Thema", Anm. d. Red.)

profil: Und deshalb gründen Sie nun eine Firma im Ausland.

Menasse: Wenn in Österreich Gesetze gemacht werden, die zeigen, dass dieses Land keine lebendige Kunstszene haben will, dann müssen wir darauf reagieren. Also hat eine kleine Gruppe von Künstlern aus eigener Tasche einen Top-Wirtschaftsanwalt damit beauftragt, Möglichkeiten zu finden, wie wir diesem Mördergesetz entkommen können. Das Honorar für den Anwalt werden wir selbstverständlich von der Steuer absetzen.

profil: Bleibt nicht trotzdem jeder Kreative an seinem Wohn- und Arbeitsort steuerpflichtig?

Menasse: Das glauben nur Provinzadvokaten. Tatsächlich sind alle Einnahmen dort zu versteuern, wo der Firmensitz ist.

profil: Was ist Zweck und Inhalt der Firma?

Menasse: Freie Produktion von Kunst. Kreative Arbeit für jedweden Zweck. Die neue Firma soll all jene versammeln, die das in Österreich nicht unbehelligt machen können.

profil: Und die Firma wird die Künstler anstellen?

Menasse: Warum sollten sie angestellt werden? Sie sind Kompagnons der Firma und produzieren einen Firmengewinn, der am Ort des Firmensitzes versteuert wird.

profil: Wer leitet die Firma?

Menasse: Ein Angestellter, der die ganze Buchhaltung macht. Mehr braucht man dazu nicht.

profil: Haben Sie, bevor Sie mit Ihrem Firmenprojekt an die Öffentlichkeit gegangen sind, mit dem Kanzler oder dem Kunststaatssekretär Kontakt aufgenommen?

Menasse: Ich habe Herrn Morak vor ein paar Monaten zufällig getroffen. Er saß in einem Restaurant am Nebentisch. Es war eine eigentümliche Erfahrung: Erstens hat Herr Morak mich überfallsartig geduzt, mich
zweitens auf kumpelhafte Weise ständig irgendwo berührt und drittens ununterbrochen Lob dafür eingefordert, dass er jetzt die Künstler gerettet habe. Ich habe klargestellt, dass ich von ihm weder geduzt noch berührt werden wolle und dass das Gesetz für mich ein Problem sei. Worauf Morak sagte, das Gesetz sei zwar noch nicht beschlossen, aber beschlossene Sache. So eine Formulierung kann es nur in Österreich geben!

profil: Das war's?

Menasse: Ja, nachdem ich noch erfolglos versucht habe, ein paar konkrete Verbesserungsvorschläge zu machen. Morak hat alle als weltfremd bezeichnet, obwohl ich ihm die Modelle anderer europäischer Länder
referiert habe. Zum IG-AutorInnen-Vorsitzenden Gerhard Ruiss, der ein offizielles Mandat von den österreichischen Schriftstellern hat, sagte er: Ich will mit Ihnen nicht verhandeln, weil Sie ohnehin dagegen sind. Das ist einzigartig: nur zu verhandeln unter der Voraussetzung, dass die Gegenpartei in jedem Punkt zustimmt! Morak unterstellt mit Recht, dass jeder österreichische Künstler gegen das Gesetz ist, das er durchziehen will. Dann frage ich mich jedoch, warum er in der Öffentlichkeit ständig Lob dafür einfordert, die Künstler gerettet zu haben. Ist Schizophrenie ein zu weit hergeholter Begriff für ein solches Verhalten? Das Problem sind nicht die österreichischen Künstler, das Problem sind der Kunstkanzler, der übrigens auch jedes Gespräch abgelehnt hat, und sein Staatssekretär, die beide offenbar dringend als diejenigen in die
Geschichte eingehen wollen, die Geist und Vernunft, Kunst und Kreativität aus der Zweiten Republik vertrieben haben.

profil: Wie viele Künstler haben sich dem Firmenprojekt inzwischen angeschlossen?

Menasse: Mittlerweile weit über hundert: Schriftsteller, Maler, Musiker, Fotografen. Das Spektrum reicht von Michael Köhlmeier und Matthias Rüegg über Bilgeri und Reinhard Schwabenitzky bis zu Niki List und Sepp
Dreissinger.

profil: Der Autor Michael Scharang ist sicher nicht dabei. Er hat Sie in Interviews als "alt und müde" und "reif für die Frührente" bezeichnet.

Menasse: Herr Scharang, gegenüber der gesamten österreichischen Kunstszene eine armselige Einzelfigur, hat in den letzten Jahren nichts anderes publiziert als Verhöhnungen anderer österreichischer Künstler. Es ist auch kein Geheimnis, dass Michael Scharang mit Franz Morak befreundet ist. Herr Morak akzeptiert die offiziellen Künstlervertreter bekanntlich nicht als Verhandlungspartner. Er sucht sich seine Verhandlungspartner lieber selbst aus. Und bei den Schriftstellern war das halt Michael Scharang. Den führt Morak nun am Schlafittchen als Künstlervertreter vor. Und überraschenderweise gibt es deshalb für Scharang bestimmte Privilegien.

profil: Welche?

Menasse: Dass zum Beispiel für über Fünfzigjährige die neuen Gesetzesregelungen nicht gelten. Über fünfzigjährige Künstler haben, weil Herr Scharang zufällig über 50 und ein Freund von Franz Morak ist, die Bedingungen, die eigentlich wir alle wollen.

profil: Sie behaupten tatsächlich, das neue Gesetz sei nach Altersklassen gesplittet worden, weil Herr Morak und Herr Scharang befreundet sind?

Menasse: Ja, nach dem primitiven Prinzip von Teile und herrsche.

profil: Es steht doch zu befürchten, dass Ihr Firmengründungsprojekt in der österreichischen Öffentlichkeit so aufgenommen wird, als wollten die Künstler mal wieder ihr Extrasüppchen kochen?

Menasse: Danke für die Frage. Ich antworte mit einer Gegenfrage: Halten Sie es für möglich, dass der österreichische Landwirtschaftsminister ein Gesetz einbringt, das sämtliche österreichischen Bauern auf die
Barrikaden treibt - mit Ausnahme von einem kleinen Nebenerwerbsbauern aus der Gegend um Kapfenberg? Und halten Sie es für möglich, dass der Landwirtschaftsminister sich zugleich weigert, mit dem
Bauernbundpräsidenten zu reden, weil der ohnehin gegen das Gesetz ist? Jeder Österreicher würde die Wut der Bauern verstehen, obwohl es nicht zum Selbstverständnis dieser Nation gehört, dass Österreich ein
Bauernstaat ist. Aber es ist dauernd von der Kulturnation die Rede. Gleichzeitig werden Künstler behandelt, wie man keine andere Berufsgruppe in diesem Land behandeln würde, und wenn sie sich wehren, heißt es, sie kämpfen um Privilegien.

profil: Das Erregungspotenzial ist in Bezug auf Kunst nun mal ein besonders hohes, gerade in Österreich.

Menasse: In dieser Regierung sitzt bekanntlich eine Partei, die Hetzplakate gegen Künstler produziert hat; der Architekt dieser Koalition ist Andreas Khol, der sich zwar gern im Theater blicken lässt, aber jeden Künstler, den er leibhaftig erwischt, erst einmal verhöhnt. Beide Parteien haben bei jeder Gelegenheit Thomas Bernhard zum Psychiater schicken und Burgtheaterdirektoren absetzen wollen; in beiden Parteien sitzen Menschen, die mehrfach kunstfeindliche Äußerungen gemacht haben, nur um ein paar Wählerstimmen mehr zu generieren. Diese Regierung ist ahnungslos, am wirklichen und kreativen Leben völlig desinteressiert und deshalb fast gemeingefährlich. Jetzt werden die Künstler eben nicht mehr zum Psychiater geschickt, sondern ins Ausland. Wir leisten Widerstand gegen diese unvernünftige, kontraproduktive, falsche und dumme Politik - und dieser Widerstand ist ein Präzedenzfall weit über Künstlerkreise hinaus.


updated: 26.02.2001 by werner
 
 
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